Es ist einige Jahre her, da blies Faraday Future in Las Vegas zur Attacke auf quasi die gesamte Automobilindustrie: Egal ob Tesla oder etablierte Autobauer – das vom chinesischen Multi-Unternehmer Jia Yueting gegründete Auto-Startup wollte es 2017 mit allen aufnehmen. Schneller, kreativer, innovativer, vernetzter. Der FF 91, das erste Serienmodell der damals erst wenige Monate alten Firma, sollte bereits ein Jahr später zu den Kunden kommen, produziert in einer nagelneuen Fabrik in Nevada, nördlich von Las Vegas. Investitionssumme: eine Milliarde Dollar. 4.500 Mitarbeiter sollten dort nicht nur den FF 91 bauen, sondern in schneller Folge auch weitere Modelle auf Basis der variablen VPA-Elektro-Plattform an den Start bringen.
Nichts davon ist bisher eingetreten. Schon der Bau der Fabrik scheiterte, weil das Geld fehlte. Nachdem sich der Elektroauto-Hersteller mit einem neuen Großinvestor scheinbar auf dem Weg der Besserung befand, gab es in der Folge immer wieder neue Negativ-Schlagzeilen. Mitarbeiter wurden beurlaubt, mehrere Bereiche des Unternehmens stillgelegt. Mit Nick Sampson hat einer der drei Gründer das Unternehmen verlassen, nachdem kurz zuvor Produktentwicklungschef Peter Savagian die Segel gestrichen hatte. Der bisherige CEO und inzwischen insolvente Mitgründer Jia Yueting hatte seinen Platz im September 2019 für Ex-BMW-Manager Carsten Breitfeld geräumt.
Breitfeld treibt frisches Geld auf
Und der versucht zu retten, was zu retten ist. Sprich: Er versucht gemeinsam mit den verbliebenen Mitarbeitern, neue Geldgeber zu finden und den fast fertig entwickelten FF 91 in Serie zu bauen. Nachdem es lange Zeit ruhig war um Faraday, kann die Firma inzwischen positive Nachrichten verkünden: Breitfeld und Co. haben mit einer Tochtergesellschaft Yorkville Advisors Global einen Deal geschlossen, der mindestens 200 und maximal 350 Millionen Dollar (knapp 194 bis etwa 339 Millionen Euro) in die Kassen spült. Dabei handelt es sich um einen Kredit, den der Autohersteller auch in Aktien begleichen kann. Yorkville hat zuvor bereits anderen angeschlagenen E-Auto-Start-ups wie Canoo und Lordstown Motors finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt.
"Die neue Finanzierung ist ein wichtiger Teil unserer Strategie, die nötigen Mittel aufzubringen, um den FF 91 so schnell wie möglich auf die Straße und in die Hände der Nutzer zu bringen", sagt Breitfeld. Ein konkretes Datum für den Produktionsstart nennt er diesmal nicht. Das war im Frühjahr 2022 anders: Damals kündigte Faraday Future an, dass die Fertigung am 23. Februar anlaufen sollte und nicht nur die Skeptiker das Ereignis live per Stream verfolgen können. Allerdings blieben die Bildschirme an diesem Tag schwarz.
Immerhin gibt es seit Anfang 2018 eine Fabrik, in der der FF 91 produziert werden könnte. Faraday hat ein leerstehendes Fabrikgelände im kalifornischen Hanford von Pirelli gepachtet und bereitet sich dort auf die Serienproduktion vor. Laut CEO Breitfeld wurden 92 Prozent der Teile für den E-SUV beschafft, und damit stehe der FF 91 kurz vor der endgültigen Produktion.
Vorführung auf der Hotelauffahrt
Dass der FF 91 tatsächlich noch kommt, hatte das Unternehmen auch im Januar 2020 bei einem Termin in Las Vegas unterstrichen. Vom Glanz und vom Selbstbewusstsein des Jahres 2017 war da allerdings nichts mehr übrig. Flugzeughangar? Messestand? Viel zu teuer! Die Auffahrt eines Hotels am Rande der Consumer Electronics Show (CES) musste reichen.
Jochen Knecht
Anders als ursprünglich geplant kommt der FF 91 mit klassischen Außenspiegeln.
Man sei die 356 Meilen (583 Kilometer) vom Werk in Kalifornien nach Las Vegas auf eigener Achse gefahren, erzählt die Faraday-Truppe stolz. Mit nur einer Akkuladung. Das klingt glaubwürdig, immerhin hat der FF 91 einen 130 kWh großen Akku im Unterboden. 381 Meilen (613 Kilometer) sind damit nach der vergleichsweise strengen amerikanischen EPA-Norm möglich. 783 kW (1.065 PS) leisten die Elektromotoren des FF 91; wer’s darauf anlegt, dem steht ein maximales Drehmoment von 1.800 Newtonmeter zur Verfügung. Von null bis 100 km/h vergehen 2,39 Sekunden. Reichweiten-Rekorde sind dann aber nicht mehr drin. Am Schnelllader kommt der FF 91 auf eine maximale Ladeleistung von 130 kW.
Ansonsten hat sich optisch seit 2017 wenig verändert. Der Look ist nach wie vor dezent futuristisch. Der FF 91 gibt sich große Mühe, nicht als klassisches SUV aufzutreten, wirkt eher wie ein großer komfortabler Reisewagen.
Liegesitze im Fond
Der Eindruck setzt sich im Inneren fort. Im Fond laden zwei riesige Liegesitze (so genannte Zero-G-Seats) zum entspannten Langstrecken-Lümmeln ein, Unterhaltung liefert ein 27-Zoll-Bildschirm, der knarzend aus dem Dachhimmel klappt. Auch die Armauflage zwischen den beiden Liegesitzen ist eher noch im Rohbau. "Vorserie”, nennen das die Faraday-Leute. Und sind auch darauf erkennbar stolz. Weil sie endlich echte Autos zeigen dürfen. Keine mit viel Mühe aufbereiteten Einzelstücke. "Viele Teile stammen bereits aus dem Serienprozess”, erklärt einer der Ingenieure. Man wisse aber ganz genau, dass noch viel zu tun sei. Geschenkt. Das Auto fährt. Genau solche Botschaften brauchst du als Start-up auf der Suche Investoren für die nächste Finanzierungsrunde.
Jochen Knecht
Zero-G-Sitze hinten sollen für Langstrecken-Komfort sorgen. Die Liegefunktion soll auf Reisen genauso sicher sein wie eine aufrechte Unterbringung.
Allerdings: Auch wenn noch kein einziger FF 91 im Serienzustand vom Band gerollt ist, sieht man dem Auto in Las Vegas sein Alter an. Drei Jahre ohne signifikante Weiterentwicklung sind eine lange Zeit, wenn parallel links und rechts unzählige Start-up-Mitbewerber eigene Elektroautos zeigen. Und so wirkt der FF 91 im Vergleich zur Konkurrenz von Nio, Byton oder Lucid ein bisschen plüschig. Auch wenn das Basis-Setup sich nach wie vor sehen lassen kann. Zehn Displays sind im Auto verteilt, bis auf die 27-Zoll-Screens alle per Touch bedienbar. Basis für die gesamte Elektronik-Architektur ist Android Auto. Vor drei Jahren war das fast schon eine Sensation, heute gibt’s das zum Beispiel auch von Volvo.
Jeder Sitzplatz ist kameraüberwacht
Faraday definiert das Cockpit des FF 91 als einen digitalen Lebensraum, entsprechend aufwändig wurde der Innenraum vernetzt. Datenschützer und Aluhüte müssen jetzt ganz stark sein: Jeder Sitzplatz wird über eine eigene Kamera überwacht bzw. sein Nutzer per Gesichtserkennung identifiziert und im Anschluss mit einem individuellen Informations- und Unterhaltungsprogramm versorgt. Eine Idee, die noch aus den Anfängen des Start-ups stammt. Gründer Jia Yueting stand damals noch einem chinesischen Unterhaltungskonzern vor, der seine Inhalte und Produkte über eigene Digitalkanäle verbreitete. Die sollten über entsprechende Schnittstellen auch in den Faraday-Autos verfügbar sein.
Wie viel davon tatsächlich noch übrig ist? Schwer zu sagen. In Las Vegas stand zumindest die digitale Grundversorgung zur Verfügung, sprich: Video-Streaming, Internet-Verbindung, WLAN und der Zugriff auf abgespeicherte Filme und Musikdateien. Spektakulär ist anders. Aber immerhin: Alle Bedienfelder und Displays reagierten flüssig. Nettes Gimmick: ein sogenanntes Spa-Programm. Einmal aktiviert, fährt das System die Liegesitze hinten nach unten, aktiviert die Massagefunktion und berieselt die Insassen mit Entspannungsmusik und beruhigenden Grafik-Animationen.
Innenraum ohne Feinschliff
Problemzonen: Ganz klar die Inneneinrichtung. Da ist noch sehr viel provisorisch beziehungsweise komplett ohne Feinschliff. Diverse Elektro- und Stellmotoren reagieren verzögert, es knistert und knarzt bei jeder Bewegung, die allermeisten Ziernähte sind noch wenig vorzeigbar. Und: Wer hinten liegen will, muss den Beifahrersitz ganz nach vorne schieben, sonst schubbern die Füße vorne an der Sitzlehne. Da stimmt das Packaging noch nicht.
Spannend: Zum Produktionsstart verspricht Faraday Future autonome Fahrfunktionen nach Level 3 (für die USA) und will dazu im Auto vorne einen Solid-State-Lidar-Lasersensor verbauen. Sprich: Der FF 91 soll tatsächlich die allermeisten Fahrfunktionen selbstständig übernehmen können. Davon wollen die allermeisten Konkurrenten aktuell nicht mehr viel wissen.
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Fazit
Wird das noch was mit Faraday? Schwer zu sagen. Dass mit Carsten Breitfeld ein erfahrener Auto-Manager jetzt die Zügel in der Hand hält, macht Hoffnung. Seit Breitfeld an Bord ist, baut Faraday Future keine Luftschlösser mehr und schafft es trotz zahlreicher Negativ-Schlagzeilen sogar, frisches Kapital zu beschaffen. Die verbliebenen Kräfte fokussieren sich darauf, ein Serienauto auf die Räder zu stellen. Das soll nach mehreren verschobenen Produktionsstarts tatsächlich in Kürze auf den Markt kommen.
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